Lesekreis und Filmabende im Sommer 2022

Was ist Feminismus?

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welche ziele hat der feminismus? ist es das streben nach rechtlicher gleichstellung, die anerkennung einer sexuellen differenz oder die errichtung des matriarchats? ist der feminismus eine sache individueller lebensgestaltung oder eines kollektivs von guerillakämpfer:innen? wer ist überhaupt das subjekt des feminismus und wie können wir bestimmen, wer dazugehört und wer nicht? lassen sich alle probleme, die der feminismus behandelt, aus einer einzigen geschichte oder natur ableiten? und welche rolle können andere befreiungsbestrebungen, wie antirassismus oder arbeitskampf, im feminismus einnehmen? wie feministisch war der sozialismus und wie sozialistisch muss der feminismus sein? muss der feminismus neue normen etablieren oder muss er sich gerade von der normativität befreien? was ist eine frau und was macht sie dazu? wie entstehen sexualität und geschlecht? und was ist eigentlich mit kinks? besteht ein feministisches leben darin, sich allen gesellschaftlichen erwartungen zu entziehen oder müssen wir verantwortung für die allgemeinheit übernehmen?

von april bis august wollen wir diesen fragen anhand der geschichte, den spannungen und diskussionen des feminismus im 20. jahrhundert nachgehen. von olympe de gouges deklaration in der französischen revolution über die sozialistischen und psychoanalytischen vorläufer bis zu judith butlers these von der konstruktion des biologischen geschlechts. dazu wollen wir u.a. texte von clara zetkin, simone de beauvoir, shulamith firestone, luce irigaray, angela davis, silvia federici, donna haraway, leslie feinberg und monique wittig lesen. die selben fragen wollen wir aber auch parallel zum lesekreis in einer filmreihe behandeln. dazu werden wir jede woche filme von feministischen regisseur:innen, dokumentationen oder hollywoodfilme aus verschiedenen zeiten schauen. im anschluss gibt es einen barabend.

weitere infos unter: wasistfeminismus.wordpress.com

Was ist Chauvinismus?

Womit lässt sich der Geist oder die Einstellungen transexklusiver Feministinnen am besten beschreiben? In dieser Reihe wollen wir uns verschiedene Diskriminierungsformen in ausgewählten  Aspekten anschauen und prüfen inwiefern sie dem Denken von Terfs entsprechen. Üblicherweise nennt man es transphob oder transfeindlich, aber könnte z.B. auch chauvinistisch eine passende Beschreibung sein?

Der Duden definiert Chauvinismus auf zwei verschiedene Weisen: nach dem ersten Eintrag ist es “aggressiv übersteigerter Nationalismus verbunden mit Nichtachtung anderer Nationalitäten”. Nach einem zweiten Eintrag gibt es aber auch noch eine übertragene Form, nämlich “männlicher Chauvinismus”: “Grundhaltung von Männern, nach der Frauen allein aufgrund ihres Geschlechts gering geachtet werden”. 

Worin genau besteht aber diese Geringachtung? Was denkt ein chauvinistischer Mann über Frauen?

Ein gutes Beispiel für diesen männlichen Chauvinismus findet sich bei Henry de Montherlant. In Die jungen Mädchen beschreibt er seinen Ekel vor “diesem süßlichen, fast Übelkeit erregenden Geruch und vor diesem Körper ohne Muskeln, ohne Nerven wie eine weiße Gartenschnecke”. Während er die Frau als schwach verachtet, bleibt er aber doch sexuell auf sie bezogen: “Kaum saßen sie nebeneinander, legte er die Hand (über dem Kleid) auf den Schenkel des jungen Mädchens, dann hielt er sie mitten auf dem Bauch fest, wie ein Löwe seine Pranke auf ein Stück Fleisch legt, das er sich erobert hat”. Auch nach Friedrich Nietzsche ist die Frau zu verachten und auch wenn der Mann sie sexuell begehrt, ist es besser, wenn er ihr gegenüber seine Unabhängigkeit bewahrt: “Die Frauen wollen dienen und haben darin ihr Glück: und der Freigeist will nicht bedient sein und hat darin sein Glück.” Der Mann behält also die Frau als Dienerin oder Unterworfene, ähnlich wie in der Sklaverei oder im Nationalismus die Anderen noch als Sklaven oder Handelspartner  genommen werden. Die Geringachtung besteht beim Chauvinismus gerade darin, dass Mann und Frau durch die Ehe und natürlich genommene Heterobeziehung füreinander bestimmt sind, dass aber Mann und Frau darin nicht als gleichberechtigt angesehen werden.

Was ist Phobie?

Lassen sich Einstellungen von Terfs vielleicht besser durch einen Vergleich mit Homophobie beschreiben?

Ein gutes Beispiel gibt der Film Blau ist eine warme Farbe, der durchaus kein feministisches Meisterwerk ist, da sich im Bild häufig die männliche Phantasie und am Set die missbräuchlichen Praktiken des Regisseurs Abdellatif Kechiche durchgesetzt haben. Beispielhaft ist der Film aber in seiner Darstellung von Homophobie: nachdem die Protagonistin Adèle mit einer blauhaarigen Frau gesehen wurde, beginnen ihre Freundinnen zu vermuten, dass sie eine Lesbe sein müsse. Während sie sie auf dem Schulhof bedrängen, tut sich eine Kindheitsfreundin besonders hervor: “Aber du hast mehrmals nackt bei mir geschlafen. […] Sie ist doch ‘ne Hure! Schläft nackt bei mir und glotzt auf meinen Arsch! […] Meine Muschi leckst du nicht!”. Ihr geht es also anders als beim Chauvinismus (siehe Teil 1 dieser Reihe) nicht darum, dass Adèle als Lesbe von ihr beherrscht werden könnte, sondern fürchtet sich vielmehr davor, dass sie getäuscht wurde. Allein dass Adèle auch nur einen begehrlichen Gedanken ihr gegenüber gehabt haben könnte, beunruhigt sie, macht Adèle eigentlich direkt zur Sexualstraftäterin, die sich nur heimlich den nichtsahnenden Frauen nähern will. Diese Angst als Homo-Phobie zu bezeichnen, wird kritisiert, weil die Endung -phobie impliziere, dass damit die bewusste Seite der Diskriminierung verschleiert würde und stattdessen sowohl psychische Krankheiten in die Nähe dieses Verhaltens, als auch das Verhalten als psychische Störung entschuldigt werden würde. Insofern Phobie aber Angst meint, kann der Unterschied zu Chauvinismus darin sehr gut dargestellt werden: denn die Freundin von Adèle sieht in ihr nicht eine natürlich Unterlegene, sondern eine unnatürliche Perverse. Sie verachtet die Andere nicht in der Sicherheit ihrer Herrschaft, sie strebt gar keine Herrschaft über sie an. Ähnlich wie bei der Angst vor der Verschwulung der Jugend, geht es um die Furcht vor dem Unnatürlichen. 

Was ist Feindlichkeit?

Lässt sich vielleicht besser über Diskriminierung sprechen, indem wir sie unter dem neutraleren Begriff Feindlichkeit subsumieren?

Ein Versuch die Konnotation der Phobie-Endung zu vermeiden, ist, sie durch -feindlichkeit zu ersetzen. Was macht aber eine Feindschaft im Unterschied zu einer Angst oder einer demütigenden Unterwerfung (wie im Chauvinismus) aus? Nach dem Nationalsozialisten Carl Schmitt ist der Feind jemand, der die “eigene, seinsmäßige Art von Leben” bedroht. Es geht dabei also darum, dass zwei Lebensarten, vielleicht Kulturen, Produktionsweisen oder Sitten so unvereinbar sind, dass sie nicht nebeneinander existieren können. Der Feind bedroht die eigene Existenz, das was es ausmacht, man selbst zu sein. Es liegt nahe, dass der Feind dementsprechend vernichtet oder wenigstens unterworfen werden muss, wenn die eigene Existenz erhalten bleiben soll. Es ist dafür natürlich wichtig zu unterscheiden, inwiefern die Anderen die eigene Existenz negieren: tun sie es z.B. nur aus veränderbarer Gewohnheit oder weil sie biologisch dazu programmiert sind? Es ist also ein Unterschied ob der Feind als Klasse (Bourgeoisie) vernichtet werden soll, dafür theoretisch aber kein Mensch zu Schaden kommen muss, oder der Feind eine Rasse ist, wie der Jude im Nationalsozialismus. Damit der Feind die eigene Existenz aber überhaupt bedrohen kann, muss er natürlich auch eine entsprechende Macht besitzen und bei den Antisemiten finden wir diese Vorstellung in der jüdischen Weltverschwörung wieder: eine übermächtige Lobby soll in der Lage sein die Regierungen und Völker zu beherrschen, nur um ihre niederen Gelüste zu befriedigen.

Chauvinismus, Homophobie und Feindlichkeit unterscheiden sich also in wichtigen Punkten: Feindlichkeit geht so erst einmal auf ungelöste Widersprüche zwischen den “Lebensarten” zurück. Die Phobie dagegen zeichnet es aus, dass zwar Widersprüche existieren, diese aber nicht reflektiert werden und deswegen als Unbekanntes Angst machen. Was den Chauvinismus aber vor den anderen beiden auszeichnet, ist das höhnische Gelächter. Der Mann ist sich über seine Stellung zur Anderen völlig bewusst, er weiss von seinem Privileg und lacht sie für ihre Schwäche und Ohnmacht aus. Es ist die Entsolidarisierung im vollen Bewusstsein dessen, was man dabei tut.

Was denken Terfs?

Zwischen Chauvinismus, Phobie und Feindlichkeit, wo lässt sich transexklusiver Feminismus am besten einordnen? Es liegt nahe sich dafür auch anzuschauen, was Terfs fürchten, worüber sie lachen und wie sie ihre politischen Gegner einschätzen; also zu schauen, worin Terfismus konkret besteht. Terfs haben also chauvinistisches Denken insofern übertragen, dass sie trans Frauen beispielsweise als Loser-Männer betrachten, die man für ihre Schwäche, für eine schief sitzende Perücke oder ein schlechtes Makeup verlacht. Aber sie sehen trans Personen dabei nicht als ihre natürlichen Dienerinnen an, sondern sehen in ihnen Unnatürlichkeit und Perversion: so gibt es z.B. wie in der Homophobie die Vorstellung, dass trans Frauen letztlich nur in Frauenräume eindringen würden, um dort leichter vergewaltigen zu können. Oder, dass sie als ‘trap’ in diesem Fall Lesben täuschen bzw. zwingen wollen, mit ihnen Sex zu haben. Aber an dieser Stelle wird auch schon ein Unterschied zur Homophobie deutlich. Denn anders als die Schwulen und Lesben sei es eben nicht nur eine Heimtücke der trans Frauen, sondern auch eine weit etablierte Herrschaft der ‘trans lobby’, die Regierungen, Ärztinnen und LGB-Communities durch cancel culture dazu zwingt ihrer Agenda zu folgen. Insofern sind die sogenannten Trans Rights Activists ein Feind, weil sie die Grundlage des feministischen Kampfes, die Möglichkeit überhaupt noch Schutzräume zu errichten, beseitigen würden. 

Man kann also sagen, dass es verkürzt ist, Terfs einfach nur als Chauvinistinnen zu bezeichnen, wenn man darunter die historische Form von männlichem Chauvinismus versteht. Da Terfismus nämlich seinen ganz eigenen Ausdruck der Verachtung und der Entsolidarisierung gefunden hat. Der Chauvinismus zeigt sich aber deutlich, insofern er sich vor Phobie und Feindlichkeit durch sein wohlwissendes Gelächter, durch seine Verachtung der Schwäche und den Genuss derselben auszeichnet. Es ist dabei aber kein beliebiger Hass, sondern entspricht der historischen Entwicklung: trans Frauen und Terfs sind in keiner Ehe, sie sind keine zwei Nationen, nicht Sklavin und Herrin.

Wenn am 24. September die Wahllokale für die Bundestagswahl öffnen, muss sich ein Großteil der Menschen in diesem Land entscheiden, wo sie ihre Stimme lassen. Für eine nicht unbedeutend große Zahl an Menschen stellt sich diese Frage jedoch nicht, da sie aufgrund von Alter oder fehlender deutscher Staatsbürgerschaft von der Wahl ausgeschlossen sind. Bei der vergangenen Bundestagswahl 2013 waren lediglich 61.946.900 Menschen wahlberechtigt. Rund 20 Millionen Menschen wurden demnach nicht zur Wahl zugelassen.

Ein Zustand, den es dringend zu ändern gilt! Alle Menschen, die von den Entscheidungen einer politischen Institution, wie dem deutschen Bundestag betroffen sind, sollen die Richtung, in diese steuert mitbestimmen dürfen. Junge Menschen leben nicht im luftleeren Raum und bekommen von der Politik nichts mit. Im Gegenteil! So denken und handeln junge Menschen oft politisch – sei es als Klassensprecher_in oder beim Abendessen mit den Eltern, wo man diesen erklärt, wie die Welt wirklich zu laufen hat. Junge Menschen haben auch eigene Anliegen und Themen, über die sie und nicht 70 jährige in den Ministerien oder Parlamenten am besten urteilen und entscheiden können.

Nun fordern nicht wenige eine Absenkung des Wahlalters. Manche auf 16 Jahre – andere mutige auf 14 Jahre. Wir gehen gleich mehrere Schritte weiter und fordern mit dem Wahlalter Null die Abschaffung einer Altersgrenze bei Wahlen. Warum? Weil eine solche Altersgrenze, egal wo sie angesetzt ist, nichts als pure Willkür ist. Dies zeigt schon ein kurzer Blick in die Historie des Wahlrechts. Ab 1945 konnte man in der BRD ab 21 den Bundestag wählen, ab 1972 durfte man ab 18. In Niedersachsen und Bremen darf man den Landtag bzw. die Bürgerschaft (so heißt der Bremer Landtag) bereits ab 16 wählen – genau wie in vielen Kommunalwahlen quer durch das Land. Irgendwie alles ziemlich willkürlich, oder?

Oft wird argumentiert, dass junge Menschen noch nicht über das nötige Fachwissen und die politische Weitsicht verfügen, sie schlicht zu unreif dafür seien, wichtige politische Entscheidungen treffen zu können. Nun, genau das gilt doch auch für Leute die über 18 Jahre alt sind. Von denen muss sich ja schließlich auch niemand einem Test unterziehen, der darüber entscheidet, ob sie „reif für die Wahl“ sind.  Auch das Argument, dass junge Menschen stärker Gefahr laufen, „demokratiefeindliche“ Parteien zu wählen, ist gelinde gesagt absurd. Zum Einen zeigt ein Blick auf vergangene Wahlen, dass auch ohne junge Menschen menschen- und demokratieverachtende Parteien zu genüge gewählt werden. Auf der anderen Seite ist es selbst nicht sonderlich demokratisch, Menschen aufgrund ihrer womöglichen Wahlentscheidung von einer demokratischen Wahl auszuschließen. Ein sogenanntes Familienwahlrecht, bei dem die Eltern die Stimme ihres Kindes übertragen bekommen lehnen wir ab! Eine Wahl ist etwas sehr persönliches und kann nicht einfach an Andere übertragen werden. Zudem würde man so das Stimmgewicht junger Menschen nicht sonderlich anheben, da es ja erfahrungsgemäß eher ältere Menschen sind, die Kinder haben und damit mehr Stimmen abgeben können, als die 19 jährige, kinderlose Studentin, welche „nur für sich selbst“ wählt.
Was wir möchten ist, dass junge Menschen wählen gehen sollen, wenn sie sich selbst dafür bereit fühlen. Wohlwissend, dass ein drei Monate altes Baby nicht zur Wahlurne gehen wird und das auf den eigenen Beinen auch nur schwerlich kann. Das Wahlalter Null ist die einzige Möglichkeit, die Willkürlichkeit einer abstrakten Altersgrenze zu umgehen. Genau so fordern wir, dass auch hier lebende Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft wählen dürfen. Sie sind meißt sogar noch stärker von den politischen Entscheidungen betroffen, ohne einen Einfluss auf die politischen Institutionen zu haben. Alle Menschen sollen dort, wo sie ihren Lebensmittelpunkt haben wählen dürfen!

Demokratische Teilhabe ist ein Grundrecht, welches man sich – wie bei jedem anderen Grundrecht auch – nicht durch das Erreichen eines bestimmten Alters, den Besitz des „richtigen“ Passes oder den Nachweis, dass man die Welt verstanden hat verdienen muss.
Man hat es einfach, weil man Mensch ist! Wenn ihr auch davon genervt seid, nicht wählen gehen zu dürfen, dann geht auch ohne Wahlberechtigung am 24. September (und gerne auch überall anders, wo politische Wahlen anstehen) ins Wahllokal. Nervt die Leute, fragt, warum ihr nicht wählen dürft, quatscht mit anderen Leuten darüber! Wahlrecht für Alle, sonst gibt’s Krawalle!