Pressemitteilung zum offiziellen Start der Protestplattform „No EU-China-Summit 2020“ : Gebündelte Kritik an China und Europäischer Union und an dem Format derartiger Gipfeltreffen – Debatte im Leipziger Stadtrat am 28. Mai 2020:

Erst vor wenigen Monaten, im Oktober 2019, erfuhr die Öffentlichkeit, dass der EU-China-Gipfel 2020 in Leipzig stattfinden soll. Vom 13. bis 15. September werden sich die Staats- und Regierungschef*innen der Europäischen Union und der Volksrepublik China in der Kongresshalle am Zoo treffen. Vorrangig wirtschafts- und handelspolitische Fragen dominieren die Tagesordnung des Gipfels, der erstmalig eine größere Dimension besitzen sollte. Die ursprünglichen Planungen ließen eine Teilnahme tausender Delegierter und Journalist*innen erwarten, sodass während der Gipfeltage die gesamte Stadt zu einer gigantischen Sicherheitszone umfunktioniert worden wäre.

Doch aufgrund der Corona-Krise stellt sich die Frage, ob der Gipfel womöglich lediglich virtuell stattfinden können wird. Sowohl die sächsische Landesregierung als auch die Bundesregierung antworten auf entsprechende parlamentarische Anfragen zwar, dass von einem physischen Treffen der Gipfelteilnehmer*innen vorerst noch auszugehen sei, doch die weltweite Entwicklung der Pandemie lässt eher eine Ersetzung des Treffens in Leipzig durch eine Videokonferenz oder zumindest einen Gipfel mit stark eingeschränkter Delegiertenzahl vermuten.

Bereits wenige Wochen nach dem öffentlichen Bekanntwerden des Gipfels fand sich aus verschiedenen Initiativen, Organisationen und Einzelpersonen die Plattform »No EU-China-Summit 2020« zusammen, um eine gemeinsame Haltung gegenüber dem Gipfel zu formulieren, sich zu vernetzen und an konkreten Protestaktionen zu arbeiten. Im Fokus der Kritik der Plattform stehen massive Menschenrechtsverletzungen der chinesischen Regierung sowie die rigorose Verfolgung von Dissident*innen und ethnischen Minderheiten ebenso wie die Untätigkeit der Europäischen Union angesichts tausender toter Geflüchteter an den Außengrenzen der »Festung Europa« und der Rechtsruck in zahlreichen Mitgliedsstaaten.

Neben der Anprangerung des wirtschaftspolitischen Ränkespiels beider Großmächte auf Kosten der Staaten des Globalen Südens und bei stetiger Aufweichung der Arbeitnehmer*innenrechte in EU und China kritisiert die Plattform weiterhin nachdrücklich das Stattfinden des Gipfels in einer Großstadt wie Leipzig als enorme Belastung für die örtliche Bevölkerung und Spielwiese für neue Dimensionen polizeilicher Repression und Überwachung. »Wir alle, die gemeinsam gegen den EU-China-Gipfel organisiert sind, haben jeweils unterschiedliche Herangehensweisen und Schwerpunkte, die Europäische Union, die Volksrepublik China und die Machart des Gipfels zu kritisieren. Was uns eint, ist die entschlossene Haltung, dieses Treffen nicht unwidersprochen vor unserer Haustür stattfinden zu lassen, sondern unseren Protest so laut und sichtbar wie möglich zu gestalten«, heißt es abschließend im Protestaufruf auf der Homepage der Plattform (https://noeucn.org/aufruf/).

Um eine fundierte Auseinandersetzung mit dem EU-China-Gipfel und dessen Akteuren für alle Interessierten zu ermöglichen, plant die Plattform ebenso eine Großdemonstration wie auch ein komplettes Gegengipfelprogramm aus Vorträgen und Workshops (https://noeucn.org/gegengipfel/) und eine Konferenz mit internationalen Wissenschaftler*innen, die im Spannungsfeld Chinas und des Westens forschen (https://noeucn.org/konferenz/). Die Kritik am Gipfel soll somit in all ihrer Breite aufgezeigt werden und alle Interessierten sind herzlich eingeladen, am Programm teilzunehmen und mitzuwirken!

Anlässlich der Abstimmung von Beschlussanträgen dreier Fraktionen mit direktem Bezug auf den anstehenden Gipfel im Rahmen der Sitzung des Leipziger Stadtrats am 28. Mai meldet sich das Bündnis nun erstmals öffentlich zu Wort.
Während die Grünen fordern, »den Stadtrat und die Stadtgesellschaft umfassend in die Vorbereitung des EU-China-Gipfels einzubinden« (https://ratsinfo.leipzig.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=1015407), sieht der Antrag der Linksfraktion vor, den Oberbürgermeister zu beauftragen, sich für eine Verlegung des Gipfels an einen mindestens 5km vom Stadtzentrum entfernten Ort, etwa die Neue Messe, einzusetzen (https://ratsinfo.leipzig.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=1015510). Derweil will die AfD eine »Ratgeberbroschüre« für alle Leipziger Haushalte. Diese soll die Bevölkerung über die rund um den Gipfel notwendigen Präventionsmaßnahmen und Einschränkungen informieren, welche von der AfD in bewusst wirklichkeitsverzerrender Weise ausschließlich den angeblich zu erwartenden gewaltsamen Protesten zugeschrieben werden (https://ratsinfo.leipzig.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=1015444).

Jana Bergmann, Sprecherin der Plattform »No EU-China-Summit 2020«, erklärt zu den anstehenden Stadtratsanträgen: »Wir begrüßen, dass sich der Stadtrat intensiver mit dem anstehenden EU-China-Gipfel beschäftigt, dessen Stattfinden in Leipzig die Bundesregierung ohne jeglichen Einbezug der örtlichen demokratischen Entscheidungsgremien und der Stadtbevölkerung anordnete. Daher können wir uns den Forderungen der Grünen, die Leipzigerinnen und Leipziger auch über die zu erwartenden Einschränkungen der persönlichen Freiheiten und Überwachungsmaßnahmen umfassend zu informieren ebenso anschließen wie dem Antrag der Linken, den Gipfel raus aus der Innenstadt zu verlegen. Sollte das Treffen der EU und China tatsächlich in der Kongresshalle am Zoo stattfinden, hätte dies gravierende und für die Bevölkerung absolut unzumutbare Grundrechtsbeschränkungen, Überwachungsmaßnahmen und eine tagelange Stressbelastung durch Sperrungen, Sicherheitskontrollen und unablässigen Hubschrauberlärm zur Folge.«

Xiao Chen Tsao, Sprecher der Plattform, ergänzt: »Auch wenn die Anträge im Stadtrat ein positives Zeichen kommunaler Einmischung in die Gipfelplanungen sind, wird die endgültige Entscheidung über das Abhalten des Gipfels und dessen Rahmenbedingungen ausschließlich auf Bundesebene getroffen und der Stadtgesellschaft übergestülpt. Für uns als Plattform ist völlig klar: Auch bei einem digitalen Stattfinden des Gipfels werden wir unsere Kritik auf die Straße tragen! Wenn zwei der stärksten Machtgefüge der Welt abgeschirmt von der Bevölkerung ihre Wirtschaftsbeziehungen erörtern, muss der Protest gegen Menschenrechtsverletzungen, Ausbeutung, entgrenzte Überwachung und die Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal von Geflüchteten umso lauter sein!«

Pressemitteilung, 26. Mai 2020